Wirecard-Skandal: Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main | Recht | Haufe (2024)

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News 18.01.2023 Wirecard-Skandal

Wirecard-Skandal: Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main | Recht | Haufe (1)

Dr. Jan Barth
Rechtsanwalt, ADVANT Beiten, Freiburg

Wirecard-Skandal: Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main | Recht | Haufe (2)

Etienne Sprösser
Rechtsanwalt, ADVANT Beiten Freiburg

Wirecard-Skandal: Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main | Recht | Haufe (3)

Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt am Main muss der D&O-Versicherer des ehemaligen Wirecard-Vorstandsvorsitzenden auch diejenigen PR-Kosten übernehmen, die mit dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen ihn zusammenhängen.

Sachverhalt

Seit Beginn des Strafprozesses gegen drei ex-Wirecard Verantwortliche berichtet die nationale und internationale Presse wieder sehr ausführlich über den gleichnamigen Skandal. Der ehmalige Vorstandsvorsitzende, Markus Braun, wird dabei regelmäßig als Kopf einer kriminellen Bande dargestellt. Eine solche Berichterstattung nimmt den Ausgang des Strafverfahrens in gewisser Weise vorweg: Karriere und Reputation des medial so Dargestellten erleiden auch dann einen kaum reparablen Schaden, wenn am Ende ein "Freispruch erster Klasse" ergeht. Gegen eine derartige Berichterstattung kann sich ein Laie kaum selbst wehren – erst recht nicht aus der Untersuchungshaft. Deshalb beauftragte er eine auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei sowie eine Presseagentur. Wegen der vorläufigen Übernahme der Kosten war er auf die D&O-Versicherung der Wirecard AG angewiesen. Für den Versicherer ist die Kostenübernahme freilich heikel: Zahlt er, ist die nachträgliche Rückforderung der Summe wenig aussichtsreich, auch wenn ihm später der Nachweis gelingen sollte, dass kein Versicherungsschutz bestand. Das OLG Frankfurt musste sich in der Entscheidung vom 29. April 2022 mit der Frage auseinandersetzen, ob eine entsprechende Verpflichtung zur vorläufigen Kostenübernahme bestand.

Prozessverlauf

Das Landgericht Frankfurt am Main hatte am 20. Juli 2021 die Übernahme der PR-Kosten durch den Versicherer noch abgelehnt. Zur Begründung führte das Gericht an, dass diese Kosten nicht im Zusammenhang mit einem (zivilrechtlichen) Haftpflichtversicherungsfall stünden, sondern mit dem gegen Herrn Braun anhängigen Strafverfahren, und daher nicht gedeckt seien. Gegen diese Entscheidung legte Herr Braun Berufung ein, über die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nun zu entscheiden hatte.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 2022

Das Oberlandesgericht gab der Berufung insofern statt, als es den D&O-Versicherer zur Übernahme der gesamten PR-Kosten von Herrn Braun bis zu dem vertraglichen Sublimit verurteilte.

In der D&O-Police war die Übernahme von Public Relations-Kosten zugesichert, wenn "einer versicherten Person durch kritische Medienberichterstattung über einen versicherten Haftpflicht-Versicherungsfall ein karrierebeeinträchtigender Reputationsschaden [droht]".

Der Versicherer vertrat die Auffassung, nur die zivilrechtliche Inanspruchnahme der versicherten Person sei ein "Haftpflicht-Versicherungsfall". Entsprechend könne lediglich kritische Berichterstattung im Zusammenhang mit einem (versicherten) Haftungsprozess ersatzfähige PR-Kosten auslösen. Die Berichterstattung, gegen die Herr Braun sich verteidigte, betraf aber nach seinem Vortrag lediglich die strafrechtlichen Anschuldigungen.

Diese Auslegung, die noch die Richter des Landgerichts überzeugt hatte, lehnte das Oberlandesgericht nun ab. Bei der Begründung stellt das Gericht dabei maßgeblich auf die Formulierung der Klausel ab und darauf, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen würde.

Die allgemeinen Versicherungsbedingungen enthielten klassischerweise neben der Haftpflichtkomponente ebenfalls eine Verfahrensrechtsschutzklausel, die eine Übernahme von Strafverteidigerkosten vorsehen. Den Ersatz der PR-Kosten schuldet der Versicherer deshalb auch dann, wenn die kritische Medienberichterstattung nicht einen (zivilrechtlichen) Haftpflichtfall im engeren Sinne, sondern eben auch einen Fall betrifft, der dem strafrechtlichen Verfahrensrechtschutz zuzuordnen ist. Der Versicherungsschutz in Bezug auf die PR-Kosten würde leerlaufen, wenn sie "nur für die völlig untergeordnete und praktisch kaum relevante Berichterstattung über die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Versicherten, nicht aber über das im Fokus des öffentlichen Interesses und der medialen Berichterstattung stehende strafrechtliche Ermittlungsverfahren zugesagt wären". Das überzeugt.

Praktische Bedeutung

Versicherungspolicen sind so auszulegen, dass der Versicherungsschutz nicht weitestgehend leerläuft. Unklarheiten gehen dabei regelmäßig zu Lasten des Versicherers. Mit dieser Kernaussage liegt das OLG Frankfurt ganz auf der Linie des Versicherungssenats des BGH. Für den konkreten Bereich der D&O-Versicherung betont das Gericht, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis zwar geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, aber dennoch nicht juristisch oder gar versicherungsrechtlich vorgebildet. Daher seien bei der Auslegung der Police nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen.

Dieser Analyse ist grundsätzlich zuzustimmen. D&O-Versicherungen werden nicht (mehr) nur von international agierenden Konzernen abgeschlossen, die über eigene, auf Organhaftungs- und Versicherungsfragen spezialisierte Rechtsabteilungen verfügen. Vielmehr gehören solche Versicherungen mittlerweile zu einem zentralen Baustein des Risiko-Managements zahlreicher mittelständischer Unternehmen. Selten können diese – allein schon aus Zeitgründen – eine ausführliche rechtliche Prüfung aller Klauseln ihrer D&O-Police vornehmen.

In wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist es umso wichtiger, im Ernstfall auf seine Versicherung zählen zu können. Versicherungsnehmer sollten also von vornherein die für sie und ihre Organe maßgeblichen Risiken erörtern und sich Klarheit über ihren Versicherungsschutz verschaffen. Oft – und das zeigt der Wirecard Fall exemplarisch – sind Geschäftsleiter auf den Versicherungsschutz angewiesen, um sich überhaupt verteidigen zu können. Besonders unzuträglich ist es dann, erst mit dem Versicherer über die Deckung streiten zu müssen. Wegen der Komplexität eines solchen Versicherungsproduktes empfiehlt es sich trotz der hier präsentierten versichertenfreundlichen Rechtsprechung, vor Abschluss einer D&O-Police kundigen Rechtsrat einzuholen bzw. bestehende Policen noch einmal sorgfältig zu überprüfen.

OLG Frankfurt am Main, Urteil v.29.4.2022 (7 U 150/21)

Schlagworte zum Thema: Versicherung, Berufung, Versicherungsschutz

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